Karl Marx - Einleitung zur Kritik der Politischen Oekonomie

3. Die Methode der politischen Ökonomie

Wenn wir ein gegebnes Land politisch-ökonomisch betrachten, so beginnen wir mit seiner Bevölkerung, ihrer Verteilung in Klassen, Stadt, Land, See, den verschiednen Produktionszweigen, Aus- und Einfuhr, jährlicher Produktion und Konsumtion, Warenpreisen etc.

Es scheint das Richtige zu sein, mit dem Realen und Konkreten, der wirklichen Voraussetzung zu beginnen, also z.B. in der Ökonomie mit der Bevölkerung, die die Grundlage und das Subjekt des ganzen gesellschaftlichen Produktionsakts ist. Indes zeigt sich dies bei näherer Betrachtung [als] falsch. Die Bevölkerung ist eine Abstraktion, wenn ich z.B. die Klassen, aus denen sie besteht, weglasse. Diese Klassen sind wieder ein leeres Wort, wenn ich die Elemente nicht kenne, auf denen sie beruhn, z.B. Lohnarbeit, Kapital etc. Diese unterstellen Austausch, Teilung der Arbeit, Preise etc. Kapital z.B. ohne Lohnarbeit ist nichts, ohne Wert, Geld, Preis etc. Finge ich also mit der Bevölkerung an, so wäre das eine chaotische Vorstellung des Ganzen, und durch nähere Bestimmung würde ich analytisch immer mehr auf einfachere Begriffe kommen; von dem vorgestellten Konkreten auf immer dünnere Abstrakta, bis ich bei den einfachsten Bestimmungen angelangt wäre. Von da wäre nun die Reise wieder rückwärts anzutreten, bis ich endlich wieder bei der Bevölkerung anlangte, diesmal aber nicht als bei einer chaotischen Vorstellung eines Ganzen, sondern als einer reichen Totalität von vielen Bestimmungen und Beziehungen. Der erste Weg ist <632> der, den die Ökonomie in ihrer Entstehung geschichtlich genommen hat. Die Ökonomen des 17. Jahrhunderts z.B. fangen immer mit dem lebendigen Ganzen, der Bevölkerung, der Nation, Staat, mehreren Staaten etc. an; sie enden aber immer damit, daß sie durch Analyse einige bestimmende abstrakte, allgemeine Beziehungen, wie Teilung der Arbeit, Geld, Wert etc. herausfinden. Sobald diese einzelnen Momente mehr oder weniger fixiert und abstrahiert waren, begannen die ökonomischen Systeme, die von den einfachen, wie Arbeit, Teilung der Arbeit, Bedürfnis, Tauschwert, aufsteigen bis zum Staat, Austausch der Nationen und Weltmarkt Das letztre ist offenbar die wissenschaftlich richtige Methode. Das Konkrete ist konkret, weil es die Zusammenfassung vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Mannigfaltigen. Im Denken erscheint es daher als Prozeß der Zusammenfassung, als Resultat, nicht als Ausgangspunkt, obgleich es der wirkliche Ausgangspunkt und daher auch der Ausgangspunkt der Anschauung und der Vorstellung ist. Im ersten Weg wurde die volle Vorstellung zu abstrakter Bestimmung verflüchtigt; im zweiten führen die abstrakten Bestimmungen zur Reproduktion des Konkreten im Weg des Denkens. Hegel geriet daher auf die Illusion, das Reale als Resultat des sich in sich zusammenfassenden, in sich vertiefenden und aus sich selbst sich bewegenden Denkens zu fassen, während die Methode, vom Abstrakten zum Konkreten aufzusteigen, nur die Art für das Denken ist, sich das Konkrete anzueignen, es als ein geistig Konkretes zu reproduzieren. Keineswegs aber der Entstehungsprozeß des Konkreten selbst. Z.B. die einfachste ökonomische Kategorie, sage z.B. Tauschwert, unterstellt Bevölkerung, Bevölkerung, produzierend in bestimmten Verhältnissen; auch gewisse Sorte von Familien- oder Gemeinde- oder Staatswesen etc. Er kann nie existieren außer als abstrakte, einseitige Beziehung eines schon gegebnen konkreten, lebendigen Ganzen. Als Kategorie führt dagegen der Tauschwert ein antediluvianisches Dasein. Für das Bewußtsein daher - und das philosophische Bewußtsein ist so bestimmt -, dem das begreifende Denken der wirkliche Mensch und daher die begriffne Welt als solche erst das wirkliche ist, erscheint daher die Bewegung der Kategorien als der wirkliche Produktionsakt - der leider nur einen Anstoß von außen erhält -, dessen Resultat die Welt ist; und dies ist - dies ist aber wieder eine Tautologie - soweit richtig, als die konkrete Totalität als Gedankentotalität, als ein Gedankenkonkretum, in fact ein Produkt des Denkens, des Begreifens ist; keineswegs aber des außer oder über der Anschauung und Vorstellung denkenden und sich selbst gebärenden Begriffs, sondern der Verarbeitung von Anschauung und Vorstellung in Begriffe. Das Ganze, wie es im Kopfe <633> als Gedankenganzes erscheint, ist ein Produkt des denkenden Kopfes, der sich die Welt in der ihm einzig möglichen Weise aneignet, einer Weise, die verschieden ist von der künstlerischen, religiösen, praktisch-geistigen Aneignung dieser Welt. Das reale Subjekt bleibt nach wie vor außerhalb des Kopfes in seiner Selbständigkeit bestehn; solange sich der Kopf nämlich nur spekulativ verhält, nur theoretisch. Auch bei der theoretischen Methode daher muß das Subjekt, die Gesellschaft, als Voraussetzung stets der Vorstellung vorschweben.

Aber haben diese einfachen Kategorien nicht auch eine unabhängige historische oder natürliche Existenz vor den konkretem? Ça dépend. <Das kommt darauf an.> Z.B. Hegel fängt die Rechtsphilosophie richtig mit dem Besitz an, als der einfachsten rechtlichen Beziehung des Subjekts. Es existiert aber kein Besitz vor der Familie oder Herrschafts- und Knechtsverhältnissen, die viel konkretere Verhältnisse sind. Dagegen wäre es richtig, zu sagen, daß Familien, Stammesganze existieren, die nur noch besitzen, nicht Eigentum haben. Die einfachere Kategorie erscheint also als Verhältnis einfacher Familien- oder Stammgenossenschaften im Verhältnis zum Eigentum. in der höheren Gesellschaft erscheint sie als das einfachere Verhältnis einer entwickelteren Organisation. Das konkretere Substrat, dessen Beziehung der Besitz ist, ist aber immer vorausgesetzt. Man kann sich einen einzelnen Wilden besitzend vorstellen. Dann ist aber der Besitz kein Rechtsverhältnis. Es ist unrichtig, daß der Besitz sich historisch zur Familie entwickelt. Er unterstellt vielmehr immer diese "konkretere Rechtskategorie". Indes bliebe dann immer soviel, daß die einfachen Kategorien Ausdruck von Verhältnissen sind, in denen das unentwickelte Konkrete sich realisiert haben mag, ohne noch die vielseitigere Beziehung oder Verhältnis, das in der konkretern Kategorie geistig ausgedrückt ist, gesetzt zu haben; während das entwickeltere Konkrete dieselbe Kategorie als ein untergeordnetes Verhältnis beibehält. Geld kann existieren und hat historisch existiert, ehe Kapital existierte, ehe Banken existierten, ehe Lohnarbeit existierte etc. Nach dieser Seite hin kann also gesagt werden, daß die einfachre Kategorie herrschende Verhältnisse eines unentwickeltern Ganzen oder untergeordnete Verhältnisse eines entwickeltern Ganzen ausdrücken kann, die historisch schon Existenz hatten, ehe das Ganze sich nach der Seite entwickelte, die in einer konkretem Kategorie ausgedrückt ist. Insofern entspräche der Gang des abstrakten Denkens, das vom Einfachsten zum Kombinierten aufsteigt, dem wirklichen historischen Prozeß.

<634> Andrerseits kann gesagt werden, daß es sehr entwickelte, aber doch historisch unreifere Gesellschaftsformen gibt, in denen die höchsten Formen der Ökonomie, z.B. Kooperation, entwickelte Teilung der Arbeit etc., stattfinden, ohne daß irgendein Geld existiert, z.B. Peru. Auch bei den slawischen Gemeinwesen tritt das Geld und der es bedingende Austausch nicht oder wenig innerhalb der einzelnen Gemeinwesen hervor, sondern an ihrer Grenze, im Verkehr mit andren, wie es denn überhaupt falsch ist, den Austausch mitten in die Gemeinwesen zu setzen als das ursprünglich konstituierende Element. Er tritt vielmehr im Anfang eher in der Beziehung der verschiednen Gemeinwesen aufeinander, als für die Mitglieder innerhalb eines und desselben hervor. Ferner: Obgleich das Geld sehr früh und allseitig eine Rolle spielt, so ist es im Altertum doch als herrschendes Element nur einseitig bestimmten Nationen, Handelsnationen, zugewiesen. Und selbst im gebildetsten Altertum, bei Griechen und Römern, erscheint seine völlige Entwicklung, die in der modernen bürgerlichen Gesellschaft vorausgesetzt ist, nur in der Periode ihrer Auflösung. Also diese ganz einfache Kategorie erscheint in ihrer Intensivität nicht historisch als in den entwickeltsten Zuständen der Gesellschaft. Keineswegs alle ökonomischen Verhältnisse durchwatend. Z.B. im Römischen Reich, in seiner größten Entwicklung, blieb Naturalsteuer und Naturallieferung Grundlage. Das Geldwesen eigentlich nur vollständig dort entwickelt in der Armee. Es ergriff auch nie das Ganze der Arbeit. So, obgleich die einfachre Kategorie historisch existiert haben mag vor der konkretern, kann sie in ihrer völligen intensiven und extensiven Entwicklung grade einer kombinierten Gesellschaftsform angehören, während die konkretere in einer wenig entwickeltern Gesellschaftsform völliger entwickelt war.

Arbeit scheint eine ganz einfache Kategorie. Auch die Vorstellung derselben in dieser Allgemeinheit - als Arbeit überhaupt - ist uralt. Dennoch, ökonomisch in dieser Einfachheit gefaßt, ist "Arbeit" eine ebenso moderne Kategorie wie die Verhältnisse, die diese einfache Abstraktion erzeugen. Das Monetarsystem z.B. setzt den Reichtum noch ganz objektiv, als Sache außer sich im Geld. Gegenüber diesem Standpunkt war es ein großer Fortschritt, wenn das Manufaktur- oder kommerzielle System aus dem Gegenstand in die subjektive Tätigkeit - die kommerzielle und Manufakturarbeit - die Quelle des Reichtums setzt, aber immer noch bloß diese Tätigkeit selbst in der Begrenztheit als geldmachend auffaßt. Diesem System gegenüber das physiokratische, das eine bestimmte Form der Arbeit - die Agrikultur - als die Reichtum schaffende setzt, und das Objekt selbst nicht mehr in der Verkleidung des Geldes, sondern als Produkt überhaupt, als <635> allgemeines Resultat der Arbeit. Dieses Produkt noch der Begrenztheit der Tätigkeit gemäß als immer noch naturbestimmtes Produkt - Agrikulturprodukt, Erdprodukt par excellence.

Es war ein ungeheurer Fortschritt von Adam Smith, jede Bestimmtheit der Reichtum zeugenden Tätigkeit fortzuwerfen - Arbeit schlechthin, weder Manufaktur, noch kommerzielle, noch Agrikulturarbeit, aber sowohl die eine wie die andre. Mit der abstrakten Allgemeinheit der Reichtum schaffenden Tätigkeit nun auch die Allgemeinheit des als Reichtum bestimmten Gegenstandes, Produkt überhaupt, oder wieder Arbeit überhaupt, aber als vergangne, vergegenständlichte Arbeit. Wie schwer und groß dieser Übergang, geht daraus hervor, wie Adam Smith selbst noch von Zeit zu Zeit wieder in das physiokratische System zurückfällt. Nun könnte es scheinen, als ob damit nur der abstrakte Ausdruck für die einfachste und urälteste Beziehung gefunden, worin die Menschen - sei es in welcher Gesellschaftsform immer - als produzierend auftreten. Das ist nach einer Seite hin richtig. Nach der andren nicht. Die Gleichgültigkeit gegen eine bestimmte Art der Arbeit setzt eine sehr entwickelte Totalität wirklicher Arbeitsarten voraus, von denen keine mehr die alles beherrschende ist. So entstehn die allgemeinsten Abstraktionen überhaupt nur bei der reichsten konkreten Entwicklung, wo eines vielen gemeinsam erscheint, allen gemein. Dann hört es auf, nur in besondrer Form gedacht werden zu können. Andrerseits ist diese Abstraktion der Arbeit überhaupt nicht nur das geistige Resultat einer konkreten Totalität von Arbeiten. Die Gleichgültigkeit gegen die bestimmte Arbeit entspricht einer Gesellschaftsform, worin die Individuen mit Leichtigkeit aus einer Arbeit in die andre übergehn und die bestimmte Art der Arbeit ihnen zufällig, daher gleichgültig ist. Die Arbeit ist hier nicht nur in der Kategorie, sondern in der Wirklichkeit als Mittel zum Schaffen des Reichtums überhaupt geworden und hat aufgehört, als Bestimmung mit den Individuen in einer Besonderheit verwachsen zu sein. Ein solcher Zustand ist am entwickeltsten in der modernsten Daseinsform der bürgerlichen Gesellschaften - den Vereinigten Staaten, Hier also wird die Abstraktion der Kategorie "Arbeit", "Arbeit überhaupt", Arbeit sans phrase, der Ausgangspunkt der modernen Ökonomie, erst praktisch wahr. Die einfachste Abstraktion also, welche die moderne Ökonomie an die Spitze stellt und die eine uralte und für alle Gesellschaftsformen gültige Beziehung ausdrückt, erschient doch nur in dieser Abstraktion praktisch wahr als Kategorie der modernsten Gesellschaft. Man könnte sagen, was in den Vereinigten Staaten als historisches Produkt, erscheine bei den Russen z.B. - diese Gleichgültigkeit gegen die bestimmte Arbeit - als naturwüchsige <636> Anlage. Allein einmal verteufelter Unterschied, ob Barbaren Anlage haben, zu allem verwandt zu werden, oder ob Zivilisierte sich selbst zu allem verwenden. Und dann entspricht praktisch bei den Russen dieser Gleichgültigkeit gegen die Bestimmtheit der Arbeit das traditionelle Festgerittensein in eine ganz bestimmte Arbeit, woraus sie nur durch Einflüsse von außen herausgeschleudert werden.

Dies Beispiel der Arbeit zeigt schlagend, wie selbst die abstraktesten Kategorien, trotz ihrer Gültigkeit - eben wegen ihrer Abstraktion für alle Epochen, doch in der Bestimmtheit dieser Abstraktion selbst ebensosehr das Produkt historischer Verhältnisse sind und ihre Vollgültigkeit nur für und innerhalb dieser Verhältnisse besitzen.

Die bürgerliche Gesellschaft ist die entwickeltste und mannigfaltigste historische Organisation der Produktion. Die Kategorien, die ihre Verhältnisse ausdrücken, das Verständnis ihrer Gliederung, gewährt daher zugleich Einsicht in die Gliederung und die Produktionsverhältnisse aller der untergegangnen Gesellschaftsformen, mit deren Trümmern und Elementen sie sich aufgebaut, von denen teils noch unüberwundne Reste sich in ihr fortschleppen, bloße Andeutungen sich zu ausgebildeten Bedeutungen entwickelt haben etc. Anatomie des Menschen ist ein Schlüssel zur Anatomie des Affen. Die Andeutungen auf Höhres in den untergeordneten Tierarten können dagegen nur verstanden werden, wenn das Höhere selbst schon bekannt ist. Die bürgerliche Ökonomie liefert so den Schlüssel zur antiken etc. Keineswegs aber in der Art der Ökonomen, die alle historischen Unterschiede verwischen und in allen Gesellschaftsformen die bürgerlichen sehen. Man kann Tribut, Zehnten etc. verstehn, wenn man die Grundrente kennt. Man muß sie aber nicht identifizieren. Da ferner die bürgerliche Gesellschaft selbst nur eine gegensätzliche Form der Entwicklung, so werden Verhältnisse frührer Formen oft nur ganz verkümmert in ihr anzutreffen sein, oder gar travestiert. Z.B. Gemeindeeigentum. Wenn daher wahr ist daß die Kategorien der bürgerlichen Ökonomie eine Wahrheit für alle andren Gesellschaftsformen besitzen, so ist das nur cum grano salis <in ganz bestimmter Richtung> zu nehmen. Sie können dieselben entwickelt, verkümmert, karikiert etc. enthalten, immer in wesentlichem Unterschied. Die sogenannte historische Entwicklung beruht überhaupt darauf, daß die letzte Form die vergangnen als Stufen zu sich selbst betrachtet und, da sie selten und nur unter ganz bestimmten Bedingungen fähig ist, sich selbst zu kritisieren - es ist hier natürlich nicht von solchen historischen Perioden die Rede, die sich <637> selbst als Verfallzeit vorkommen -, sie immer einseitig auffaßt. Die christliche Religion war erst fähig, zum objektiven Verständnis der frühern Mythologien zu verhelfen, sobald ihre Selbstkritik zu einem gewissen Grad sozusagen dunamei <der Möglichkeit nach> fertig war. So kam die bürgerliche Ökonomie erst zum Verständnis der feudalen, antiken, orientalen, sobald die Selbstkritik der bürgerlichen Gesellschaft begonnen. Soweit die bürgerliche Ökonomie nicht mythologisierend sich rein identifiziert mit dem Vergangnen, glich ihre Kritik der frühern, namentlich der Feudalen, mit der sie noch direkt zu kämpfen hatte, der Kritik die das Christentum am Heidentum, oder auch der Protestantismus am Katholizismus ausübte.

Wie überhaupt bei jeder historischen, sozialen Wissenschaft, ist bei dem Gange der ökonomischen Kategorien immer festzuhalten, daß, wie in der Wirklichkeit, so im Kopf, das Subjekt, hier die moderne bürgerliche Gesellschaft, gegeben ist, und daß die Kategorien daher Daseinsformen, Existenzbestimmungen, oft nur einzelne Seiten dieser bestimmten Gesellschaft, dieses Subjekts, ausdrücken, und daß sie daher auch wissenschaftlich keineswegs da erst anfängt, wo nun von ihr als solcher die Rede ist. Dies ist festzuhalten, weil es gleich über die Einteilung Entscheidendes zur Hand gibt. Z.B. nichts scheint naturgemäßer, als mit der Grundrente zu beginne, dem Grundeigentum, da es an die Erde, die Quelle aller Produktion und allen Daseins, gebunden ist, und an die erste Produktionsform aller einigermaßen befestigten Gesellschaften - die Agrikultur. Aber nichts wäre falscher. In alle Gesellschaftsformen ist es eine bestimmte Produktion, die allen übrigen und deren Verhältnisse daher auch allen übrigen, Rang und Einfluß anweist. Es ist eine allgemeine Beleuchtung, worin alle übrigen Farben getaucht sind und [die] sie in ihrer Besonderheit modifiziert. Es ist ein besondrer Äther, der das spezifische Gewicht alles in ihm hervorstehenden Daseins bestimmt. Z.B. bei Hirtenvölkern. (Bloße Jäger und Fischervölker liegen außer dem Punkt, wo die wirkliche Entwicklung beginnt) Bei ihnen kömmt gewisse Form des Ackerbaus vor, sporadische. Das Grundeigentum ist dadurch bestimmt. Es ist gemeinsames und hält diese Form mehr oder minder bei, je nachdem, ob diese Völker mehr oder minder noch an ihrer Tradition festhalten, z.B. das Gemeindeeigentum der Slawen. Bei Völkern von festsitzendem Ackerbau - dies Festsitzen schon große Stufe -, wo dieser vorherrscht wie bei den Antiken und Feudalen, hat selbst die Industrie und ihre Organisation und die Formen des Eigentums, die ihr entsprechen, mehr oder minder grund- <638> eigentümlichen Charakter, ist entweder ganz von ihm <In der Handschrift: ihr> abhängig wie bei den ältern Römern oder, wie im Mittelalter, ahmt die Organisation des Landes in der Stadt und in ihren Verhältnissen nach. Das Kapital selbst im Mittelalter - soweit es nicht reines Geldkapital ist - als traditionelles Handwerkszeug etc. etc. hat diesen grundeigentümlichen Charakter. In der bürgerlichen Gesellschaft ist es umgekehrt, Die Agrikultur wird mehr und mehr ein bloßer Industriezweig und ist ganz vom Kapital beherrscht. Ebenso die Grundrente. In allen Formen, worin das Grundeigentum herrscht, die Naturbeziehung noch vorherrschend. In denen, wo das Kapital herrscht, das gesellschaftlich, historisch geschaffne Element. Die Grundrente kann nicht verstanden werden ohne das Kapital. Das Kapital aber wohl ohne die Grundrente. Das Kapital ist die alles beherrschende ökonomische Macht der bürgerlichen Gesellschaft. Es muß Ausgangspunkt wie Endpunkt bilden und vor dem Grundeigentum entwickelt werden. Nachdem beide besonders betrachtet sind, muß ihre Wechselbeziehung betrachtet werden,

Es wäre also untubar und falsch, die ökonomischen Kategorien in der Folge aufeinander folgen zu lassen, in der sie historisch die bestimmenden waren. Vielmehr ist ihre Reihenfolge bestimmt durch die Beziehung, die sie in der modernen bürgerlichen Gesellschaft aufeinander haben, und die genau das umgekehrte von dem ist, was als ihre naturgemäße erscheint oder der Reihe der historischen Entwicklung entspricht. Es handelt sich nicht um das Verhältnis, das die ökonomischen Verhältnisse in der Aufeinanderfolge verschiedener Gesellschaftsformen historisch einnehmen. Noch weniger um ihre Reihenfolge "in der Idee" (Proudhon) (einer verschwimmelten Vorstellung der historischen Bewegung). Sondern um ihre Gliederung innerhalb der modernen bürgerlichen Gesellschaft.

Die Reinheit (abstrakte Bestimmtheit), in der die Handelsvölker - Phönizier, Karthaginienser - in der alten Welt erschienen, ist eben durch das Vorherrschen der Agrikulturvölker selbst gegeben. Das Kapital als Handels- oder Geldkapital erscheint eben in dieser Abstraktion, wo das Kapital noch nicht das beherrschende Element der Gesellschaften ist. Lombarden, Juden nehmen dieselbe Stellung gegenüber den Agrikultur treibenden mittelaltrigen Gesellschaften ein.

Als weitres Beispiel der verschiednen Stellung, die dieselben Kategorien in verschiednen Gesellschaftsstufen einnehmen: Eine der letzten Formen der bürgerlichen Gesellschaft: joint-stock-companies <Aktiengesellschaften>. Erscheinen aber auch <639> im Beginn derselben in den großen privilegierten und mit Monopol versehnen Handelskompanien.

Der Begriff des Nationalreichtums selbst schleicht sich bei den Ökonomen des 17. Jahrhunderts so ein - eine Vorstellung, die noch zum Teil bei denen des 18. fortgeht -, daß bloß für den Staat der Reichtum geschaffen wird, seine Macht aber im Verhältnis zu diesem Reichtum steht. Es war dies noch unbewußt heuchlerische Form, worin sich der Reichtum selbst und die Produktion desselben als Zweck der modernen Staaten ankündigt und sie nur noch als Mittel zur Produktion des Reichtums betrachtet.

Die Einteilung offenbar so zu machen, daß 1. die allgemein abstrakten Bestimmungen, die daher mehr oder minder allen Gesellschaftsformen zukommen, aber im oben auseinandergesetzten Sinn. 2. die Kategorien, die die innre Gliederung der bürgerlichen Gesellschaft ausmachen und worauf die fundamentalen Klassen beruhn. Kapital, Lohnarbeit, Grundeigentum. Ihre Beziehung zueinander. Stadt und Land. Die drei großen gesellschaftlichen Klassen. Austausch zwischen denselben. Zirkulation. Kreditwesen (privat). 3. Zusammenfassung der bürgerlichen Gesellschaft in der Form des Staats. In Beziehung zu sich selbst betrachtet. Die "unproduktiven" Klassen. Steuern. Staatsschuld. Öffentlicher Kredit. Die Bevölkerung. Die Kolonien. Auswanderung. 4. Internationales Verhältnis der Produktion. Internationale Teilung der Arbeit. Internationaler Austausch. Aus- und Einfuhr. Wechselkurs. 5. Der Weltmarkt und die Krisen.

4. Produktion.
Produktionsmittel und Produktionsverhältnisse.
Produktionsverhältnisse und Verkehrsverhältnisse.
Staats- und Bewußtseinsformen im Verhältnis zu den Produktions- und Verkehrsverhältnissen.
Rechtsverhältnisse.
Familienverhältnisse.

Notabene in bezug auf Punkte, die hier zu erwähnen und nicht vergessen werden dürfen:

1. Krieg früher ausgebildet wie Frieden; Art, wie durch den Krieg und in den Armeen etc. gewisse ökonomische Verhältnisse wie Lohnarbeit, Maschinerie etc. früher entwickelt als im Innern der bürgerlichen Gesellschaft. Auch das Verhältnis von Produktivkraft und Verkehrsverhältnissen besonders anschaulich in der Armee.

<640> 2. Verhältnis der bisherigen idealen Geschichtschreibung zur realen. Namentlich die sogenannte Kulturgeschichte, die alte Religions- und Staatengeschichte. (Bei der Gelegenheit kann auch etwas gesagt werden über die verschiednen Arten der bisherigen Geschichtschreibung. Sogenannte objektive. Subjektive (Moralische u.a.). Philosophische.)

3. Sekundäres und Tertiäres, überhaupt abgeleitete, übertragene, nicht ursprüngliche Produktionsverhältnisse. Einspielen hier internationaler Verhältnisse.

4. Vorwürfe über Materialismus dieser Auffassung. Verhältnis zum naturalistischen Materialismus.

5. Dialektik der Begriffe Produktivkraft (Produktionsmittel) und Produktionsverhältnis, eine Dialektik, deren Grenzen zu bestimmen und die realen Unterschiede nicht aufhebt.

6. Das unegale Verhältnis der Entwicklung der materiellen Produktion, z.B. zur künstlerischen. Überhaupt der Begriff des Fortschritts nicht in der gewöhnlichen Abstraktion zu fassen. Moderne Kunst etc. Diese Disproportion noch nicht so wichtig und schwierig zu fassen als innerhalb praktisch-sozialer Verhältnisse selbst. Z.B. der Bildung. Verhältnis der United States zu Europa. Der eigentlich schwierige Punkt, hier zu erörtern, ist aber der, wie die Produktionsverhältnisse als Rechtsverhältnisse in ungleiche Entwicklung treten. Also z.B. das Verhältnis des römischen Privatrechts (im Kriminalrecht und öffentlichen das weniger der Fall) zur modernen Produktion.

7. Diese Auffassung erscheint als notwendige Entwicklung. Aber Berechtigung des Zufalls. Wie. (Die Freiheit u.a. auch.) (Einwirkung der Kommunikationsmittel. Weltgeschichte existierte nicht immer; die Geschichte als Weltgeschichte Resultat.)

8. Der Ausgangspunkt natürlich von der Naturbestimmtheit; subjektiv und objektiv. Stämme, Racen etc.

Bei der Kunst bekannt, daß bestimmte Blütezeiten derselben keineswegs im Verhältnis zur allgemeinen Entwicklung der Gesellschaft, also auch der materiellen Grundlage, gleichsam des Knochenbaus ihrer Organisation, stehn. Z.B. die Griechen verglichen mit den modernen oder auch Shakespeare. Von gewissen Formen der Kunst, z.B. dem Epos, sogar anerkannt, daß sie, in ihrer Weltepoche machenden, klassischen Gestalt nie produziert werden können, sobald die Kunstproduktion als solche eintritt; also daß innerhalb des Berings der Kunst selbst gewisse bedeutende Gestaltungen derselben nur auf einer unentwickelten Stufe der Kunstentwicklung möglich sind. Wenn dies im Verhältnis der verschiednen Kunst- <641> arten innerhalb des Bereichs der Kunst selbst der Fall ist, ist es schon weniger auffallend, daß es im Verhältnis des ganzen Bereichs der Kunst zur allgemeinen Entwicklung der Gesellschaft der Fall ist. Die Schwierigkeit besteht nur in der allgemeinen Fassung dieser Widersprüche. Sobald sie spezifiziert werden, sind sie schon erklärt.

Nehmen wir z.B. das Verhältnis der griechischen Kunst und dann Shakespeares zur Gegenwart. Bekannt, daß die griechische Mythologie nicht nur das Arsenal der griechischen Kunst, sondern ihr Boden. Ist die Anschauung der Natur und der gesellschaftlichen Verhältnisse, die der griechischen Phantasie und daher der griechischen [Mythologie] zugrunde liegt, möglich mit Selfaktors und Eisenbahnen und Lokomotiven und elektrischen Telegraphen? Wo bleibt Vulkan gegen Roberts et Co., Jupiter gegen den Blitzableiter und Hermes gegen den Crédit mobilier? Alle Mythologie überwindet und beherrscht und gestaltet die Naturkräfte in der Einbildung und durch die Einbildung: verschwindet also mit der wirklichen Herrschaft über dieselben. Was wird aus der Fama neben Printinghouse Square? Die griechische Kunst setzt die griechische Mythologie voraus, d.h. die Natur und die gesellschaftlichen Formen selbst schon in einer unbewußt künstlerischen Weise verarbeitet durch die Volksphantasie. Das ist ihr Material. Nicht jede beliebige Mythologie, d.h. nicht jede beliebige unbewußt künstlerische Verarbeitung der Natur (hier darunter alles Gegenständliche, also die Gesellschaft eingeschlossen). Ägyptische Mythologie konnte nie der Boden oder der Mutterschoß griechischer Kunst sein. Aber jedenfalls eine Mythologie. Also keinesfalls eine Gesellschaftsentwicklung, die alles mythologische Verhältnis zur Natur ausschließt, alles mythologiserende Verhältnis zu ihr; also vom Künstler eine von Mythologie unabhängige Phantasie verlangt.

Von einer andren Seite: Ist Achilles möglich mit Pulver und Blei? Oder überhaupt die " Iliade" mit der Druckerpresse oder gar Druckmaschine? Hört das Singen und Sagen und die Muse mit dem Preßbengel nicht notwendig auf <In der Handschrift: aus>, also verschwinden nicht notwendige Bedingungen der epischen Poesie?

Aber die Schwierigkeit liegt nicht darin, zu verstehn, daß griechische Kunst und Epos an gewisse gesellschaftliche Entwicklungsformen geknüpft sind. Die Schwierigkeit ist, daß sie für uns noch Kunstgenuß gewähren und in gewisser Beziehung als Norm und unerreichbare Muster gelten.

Ein Mann kann nicht wieder zum Kinde werden, oder er wird kindisch.

<642> Aber freut ihn die Naivetät des Kindes nicht, und muß er nicht selbst wieder auf einer höhren Stufe streben, seine Wahrheit zu reproduzieren? Lebt in der Kindernatur nicht in jeder Epoche ihr eigner Charakter in seiner Naturwahrheit auf? Warum sollte die geschichtliche Kindheit der Menschheit, wo sie am schönsten entfaltet, als eine nie wiederkehrende Stufe nicht ewigen Reiz ausüben? Es gibt ungezogene Kinder und altkluge Kinder. Viele der alten Völker gehören in diese Kategorie. Normale Kinder waren die Griechen. Der Reiz ihrer Kunst für uns steht nicht im Widerspruch zu der unentwickelten Gesellschaftsstufe, worauf sie wuchs. Ist vielmehr ihr Resultat und hängt vielmehr unzertrennlich damit zusammen, daß die unreifen gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie entstand und allein entstehn konnte, nie wiederkehren können.

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